Kemal Atatürk schuf mehr als den heutigen Staat Türkei. Er brach in allen Lebenslagen mit den osmanischen Traditionen. Er bekämpfte den Einfluss der Religion, reformierte die Sprache und wechselte die Schrift: Statt der arabischen wurde die lateinische Schrift eingefügt. Damit wurde das Ende der Kalligraphen zwangsläufig. Keiner spürte das mehr als Rikkat Kunt, eine der wenigen Frauen, die bis in die 20er Jahre diese große Kunst ausübten.
Dass Atatürk die Kalligraphen ihrer Kunst beraubte, kam nicht von ungefähr. Denn die „Schönschreiber“, die mit Hilfe von Feder, Tinte und Faß ihrem Werk nachgingen, verbreiteten mit ihren Handschriften das Wort Gottes. Und den Einfluss des Islam wollte Atatürk mit seinem laizistischen Staat brechen.
Yasmine Ghata, 33, französische Expertin für islamische Kunst, geht es aber nur am Rande darum, eine heute noch ob der Schönheit der Darstellung bewunderte, untergegangene Kunst wiederzubeleben. Vor allem erzählt sie das Leben ihrer Großmutter, einer starken, außergewöhnlichen Frau, die in der Wendezeit der Türkei ihr Leben neu sortieren musste.
Von den alten Meistern hatte sie die Kalligraphie erlernt und von einem der besten unter ihnen das Werkzeug geerbt. Nie verlässt sie, auch in ihrem späteren Leben, der Trost, den sie im Schönschreiben findet. Auch nicht, als sie mit einem ihr intellektuell weit unterlegenen Zahnarzt zwangsverheiratet wird. Mit Liebe hat diese Ehe wie auch die folgende nichts zu tun.
Rikkats Liebe gilt ausschließlich ihrer Kunst. Als das arabische Alphabet von Atatürk verboten wird, schreibt die begabte Frau auf Bettlaken, später nutzt sie sogar ihren Arm. Schreiben bedeutet ihr alles, auch wenn rund um sie herum Menschen zugrunde gehen. „Das Ornament ist mein Lebensinhalt. Meine Arabesken beschreiben geometrische Figuren, ich bin die einzige, die ihr Geheimnis kennt“, sagt sie einmal.
Und sie bekommt eine zweite Chance: Als die Universität sich der osmanischen Traditionen wieder besinnt, wird Rikkat im Alter noch zur Lehrerin, glücklich darüber, ihre Kunst weiter geben zu können. Glücklich darüber, doch noch ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Die türkisch-französische Autorin baut mit ihrem Buch eine Brücke zwischen Orient und Okzident und eröffnet einen faszinierende Einblick in das islamische Verständnis, das in unserer Konflikt geprägten Zeit so oft von Negativ-Schlagzeilen geprägt wird.
Dazu passt ihre feine, zurückhaltende, ja mitunter fast wie aus dem Märchen kommende Sprache. Ein wunderbares Buch.
Bewertung: *****
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