Gertrud Ennulat „Kriegskinder“, 207 Seiten, 16,50 €, Klett-Cotta, ISBN: 978-3608944822;
Auch das gehört zur Vergangenheitsbewältigung. Jene Generation, die vom Zweiten Weltkrieg bewusst nichts mitbekommen hat, aber trotzdem von ihm geprägt wurde, die Jahrgänge 1930 bis 1945, öffnet sich und versucht jene Traumata aufzubrechen, die sie ihr Leben lang bestimmt haben. Die ehemalige Gertrud Ennulat (geboren 1941) ist eine von ihnen.
„Als ich am 28. Dezember 1941 auf die Erde kam, sagte eine Stimme zu dem Kind: ,Was willst du eigentlich hier?‘ Obwohl es ein Sonntagskind war, hatte es kein selbstverständliches Lebensrecht, sondern musste es sich immer wieder neu erarbeiten. Der Krieg machte das Kind zu einem Kriegskind, und es verinnerlichte die Parole ,Reiß dich zusammen!'“
So schreibt die Autorin „über mich“ auf ihrer Webseite und reißt das Thema in diesen paar Sätzen schon eindrucksvoll zusammen. Dieses Reiß Dich zusammen angesichts des Überlebenskampfes im zerstörten Deutschland, dieses Reiß Dich zusammen in einer vaterlosen Gesellschaft, die ihre Männer auf dem Schlachtfeld verheizt hatte.
14 Millionen Kriegskinder gibt es in Deutschland. Sie sind jetzt im Rentenalter. Viele Jahrzehnte hielt die Fassade, sie hatten die furchtbaren Ereignisse der Kindheit verdrängt. Aber irgendwann funktioniert das nicht mehr. Die Bilder vom 9. September zum Beispiel oder vom Irakkrieg schwemmen die eigenen Erinnerungen wieder hoch.
Auch die Wissenschaft hat diese Generation lange nicht wahrgenommen. Erst in diesem Jahrzehnt begann eine systematische Forschung. Und auch das Fernsehen hat die Weltkriegs-Erinnerung wiederentdeckt: Ob Flucht und Vertreibung, Hitler-Attentat oder was auch immer, stets wird die persönliche Perspektive heute noch lebender Menschen gesucht.
„Wie die Wunden der Vergangenheit heilen“, ist der Untertitel von Ennulats Buch. Es geht also nicht nur um die Aufarbeitung der eigenen Geschichte, sondern auch darum wie man damit umgeht, wie man den Weg findet „in die dunklen und gefährlichen Bereiche der Kriegskindheit“. Es geht um das innere Kind, die Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft und sich am Ende auszusöhnen mit dem Erlebten.
Gertrud Ennulat leidet nicht an Schlaflosigkeit, wie viele ihrer Generation, oder an Panikattacken und Angst. – Symptomen, wie man sie auch von Golfkriegs-Veteranen kennt oder von Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan waren. Gertrud Ennulat hat sich professionelle Hilfe geholt. Ihr Buch endet mit dem Satz: „Der Krieg im Innern ist vorbei. Es ist Friede.“
Bewertung: ****
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