Josef-Otto Freudenreich (Hrsg.) „Wir können alles – Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle“, 250 Seiten, 19,90 €, Klöpfer & Meyer, ISBN: 978-3940086129;

Und ich dachte immer: Nur in Bayern mit seinen gefühlten 1000 Jahren CSU-Herrschaft – und, oh Hoffnung, auch Stoibers Sohn geht nun in die Politik – geht’s so zu. Dieses Buch ist eine Fundgrube für Politikverdrossene. Von wegen, unsere Demokratie funktioniert nicht richtig. Man muss nur wissen, wie man sie richtig nutzt. Von den Schwaben und den Badener können wir im Freistaat noch viel lernen.

Eigentlich träumt jeder ordentlich recherchierende Journalist von einer solchen Plattform. Jene großen Geschichten, in denen so viel Herzblut und so viel Arbeit stecken, nach Abschluss einmal als Ganzes zusammenzuschreiben und zwischen zwei Buchdeckel zu packen. Genügend Platz haben und die Geschichten am Stück erzählen, was in der Tageszeitung nur ganz selten möglich ist.

Josef-Otto Freudenreich, Rainer Nübel, Meinrad Heck und Wolfgang Messner, allesamt hoch dekorierte Journalisten aus dem Stuttgarter Raum haben sich mit ihrem Sittengemälde der politischen Verhältnisse in BW diesen Wunsch erfüllt – und in Hubert Klöpfer einen Verleger gefunden, der den Mut (und den juristischen Beistand) hat, um diesen Klartext auch auf den Markt zu bringen.

Ob Ministerpräsident Oettinger und dessen „Beziehungen“ zur kalabrischen Mafia, ob die (inzwischen untergegangene) schwäbische Mafia in Bonn und Berlin oder ob die mafiösen Verflechtungen von Politik, Finanzbehörden und Justiz im Fall Flowtex – die Journalisten lassen das Musterländle gar nicht gut aussehen.

Wer mit wem und warum, im einzelnen sind die erzählten Geschichten schon bekannt. Aber in der Gesamtschau wirken sie einfach anders als jede für sich. Sie ergeben ein Bild für die Verfilzungen zwischen Politik und Wirtschaft, angefangen bei den Fürsten vor Ort, den Landräten bis hinauf in die Staatsregierung.

Und auch die Medien bekommen ihr Fett weg. Justament die Schwäbische Zeitung, die Oberschwaben beherrscht, zwischen Ulm und Bodensee, aber längst nicht mehr das ist, was sie mal war. Bezeichnend, dass ausgerechnet das Verlagshaus, das von Meinungsfreiheit lebt, bei diesem Buch die Meinungsfreiheit zu bekämpfen sucht – auf dem Klageweg. Über diesen Punkt sind die Politiker im Ländle längst hinweg.

Ein ironisches Buch und ein tragisches Buch. Danke für die Einblicke unter die Filzdecke, die all jene warm hält, die sich mit dem System arrangiert haben.

Bewertung: *****

P.S.: Bitte melden! Verleger gesucht, der ein ähnliches Projekt in Bayern hat.

Biete an: Eine absurde Geschichte über einen durchgeknallten Landrat, der seinen Landkreis durch seinen Größenwahn um 15 Millionen Euro prellte und sich nicht mal von Parteifreund Stoiber, dem Senior natürlich, zum Rücktritt bewegen ließ.

Biete an: Eine ebenso absurde Geschichte über einen Finanzberater, der Gelder zwischen hunderten deutschen Kommunen verschob und dabei 46 Millionen Euro stahl. Der Finanzberater lebt inzwischen sorgenfrei auf einer Farm in Namibia, die Kommunen bekriegten sich jahrelang vor Gericht gegenseitig. Ach ja, fast hätte ich’s vergessen: Die besten Kunden des Hans-Jürgen Koch saßen in Baden-Württemberg – womit wir wieder am Anfang wären.

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