Necla Kelek „Die fremde Braut“, 269 Seiten, 18,90 €, Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3462034691 (auch als Goldmann-Taschenbuch, 8,95 €);
Eigentlich passt der Titel nicht: Der von Seyran Ates angeprangerte Multikulti-Irrtum ist ein Integrations-Irrtum. Kernthese der deutsch-türkischen Rechtsanwältin: Die deutsche Gesellschaft ist zwar die toleranteste, die man sich vorstellen kann. Aber wer hier lebt, soll sich anpassen oder wieder gehen. Auch Necla Kelek verfolgt in ihrem 2005 erschienenden Buch über „Importbräute“ einen solchen Ansatz.
Beide Frauen gelten bei den Urdeutschen – so nennt Ates die deutschen „Ureinwohner“ – als Sprachrohr der deutsch-türkischen Community und damit immerhin von rund drei Millionen Menschen. Beide schreiben aus Erfahrung. Ates vertrat bis zur Rückgabe ihrer Anwaltszulassung unterdrückte türkische Frauen. Sie wurde beschimpft, beleidigt und angeschossen.
Obwohl Ates schon seit 30 Jahren in Deutschland lebt, gut ausgebildet ist, einen hoch angesehenen Beruf ausübt, fühlt sie sich nicht respektiert: „Mir fehlt mein Gegenüber, das mich ebenso als ein Teil dieser Gesellschaft anerkennt, wie ich es anerkenne.“ Und: So wenig die Ur-Deutschen ihre türkischstämmigen Mitbürger akzeptieren, so wenig geschieht dies umgekehrt. Über die Folgen lesen wir fast täglich in der Zeitung.
Seyran Ates ist eine wütende, empörte Frau. Sie kritisiert die Politik, die das Thema Integration viele Jahrzehnte vernachlässigt hat, die Ur-Deutschen und die türkischen Einwanderer, die noch immer nach ihren archaischen, anatolischen Gesellschaftsnormen leben. Es geht um Zwangsheiraten, um Ehrenmorde, um den Jungfräulichkeitswahn und um den Kopftuchstreit.
Auch des Islams und seiner angeblichen Reformunwilligkeit nimmt sich Ates an – und verrät hier mehr Engagement als Kenntnisse, wie wissenschaftliche Kritiker meinen. Die linke Feministin rechnet auch mit den 68ern ab und deren – wie sie findet – völlig fehlgeleiteten Vorstellungen von Toleranz, die Integration verhindern statt fördern.
Auch die vielfach ausgezeichnete Soziologin Necla Kelek versteht sich als Feministin. Sie nimmt sich eines Themas an, das auch bei Ates breiten Raum einnimmt, der illegalen, aber nach wie vor in traditionellen türkisch-deutschen Kreisen gepflegten Zwangsverheiratung junger Frauen und Mädchen, die direkt aus der Türkei „importiert“ werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse verknüpft sie mit ihrer Familiengeschichte und eigenen Erfahrungen.
Beide Bücher sind Bestseller, über beide kann man trefflich streiten. Sie fachen eine längst fällige Debatte in Deutschland an – erfolgreich: Deutsch-Kenntnisse sind für Zuwanderer inzwischen Voraussetzung. Und in Nordrhein-Westfalen ist das Thema Integration inzwischen Chefsache. Andere Bundesländer werden – hoffentlich bald – folgen. Gut so!
Bewertung: ****
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