Der Roman beginnt als Reportage. Selden, Innenminister, bekommt eine SMS seiner erwachsenen Tochter, in der sie ihm ihren Tod ankündigt – als Passagierin in einem Flugzeug, das gerade abstürzt. Ein Scherz? Selden braucht eine Zeit, die Nachricht zu überprüfen. Zeit, sie zu verarbeiten, bekommt er nicht.
Kontrovers diskutiert wird seit Wochen das neue Werk des 1961 geborenen Berliner Schriftstellers Kumpfmüller, das schon im Rohzustand im vorigen Jahr den Alfred-Döblin-Preis bekam. Ein politischer Roman? Oder doch keiner ?
Hauptperson Selden ist jedenfalls ein Politiker, wie man sich vorstellt. In der Jugend mit hehren Zielen gestartet als Anwalt für politisch Verfolgte und Sozialschwache (Merke! Parallele zu Gerhard Schröder), hat ihn die Politik längst mit Haut und Haaren vereinnahmt.
Ehe existent, aber gescheitert, Affäre mit junger Journalistin, ein Hasten von Termin zu Termin und der Versuch sich auf der Flucht vor den Journalisten ein wenig Intimsphäre zu wahren – vieles in Kumpfmüllers Geschichte wirkt wie abgeschrieben aus Politikerporträts in Zeitungen, klischeehaft, ist aber stets glänzend erzählt und passt in seiner Kühle zur kalten Politikerwelt.
Ganz schlecht weg kommt Kumpfmüllers frühere Branche, die Journalisten. „Sie lebten vom Unglück anderer Leute. Sie weideten es aus, sie ernährten sich davon“, heißt es einmal. Und klar ist, der Schriftsteller beschreibt aus seiner Künstler-Perspektive die bundesrepublikanische Wirklichkeit, auch wenn er kein Land nennt.
In einem Zeit-Interview mit dem Autor wandte sich der „wahre“ Innenminister Wolfgang Schäuble gegen Kumpfmüllers Fanatsie der Allmacht der Politik. „So stellt sich Klein Fritzchen das Leben mit Nachrichtendiensten, Verfassungsschutz und BKA vor.“
Kumpfmüller hat wenig dagegen zu setzen. Und das ist vielleicht der Haupt-Kritikpunkt an diesem Roman: Er gaukelt eine Tiefe, eine Authenzität vor, die er nicht hat – bis hin zu einem Attentat auf Selden (Merke! Parallele zu Schäuble). Am Ende, gerade mit seinem Ausblick ins Politiker-Altenheim, nämlich ist „Nachricht an alle“ nicht mehr und nicht weniger als – ein Roman.
Bewertung: ****
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